Vom Tabuthema zum selbstbestimmten Projekt. Professor Schneider darüber, wie sich die Einstellung zur letzten Lebensphase wandelt
Von Helmut Bissinger
Viele Menschen verdrängen sie gern: die Gedanken an die letzte Lebensphase. Das Sterben ist in der Gesellschaft zum Tabu-Thema geworden. Aber im Umgang mit dem Sterben gibt es langsam veränderte Sichtweisen – ein Verdienst umfassender hospizlicher und palliativer Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen. „Dem Ehrenamt kommt dabei eine immer größere Bedeutung zu“, sagt Professor Werner Schneider. Er beschäftigt sich von Berufs wegen mit dem Sterben.
Für Schneider ist Sterben ein Teil des sozialen Verhaltens unserer Gesellschaft. Der erkennbare Wandel im Umgang mit Sterben und Sterbenden, aber auch den Angehörigen erfordere die Verstärkung der Hospizarbeit wie sie beispielsweise die Hospizgruppe Donau-Ries leiste. „Schnell, schmerzfrei und selbstbestimmt in einem würdevollen Rahmen wollen wir alle sterben“, sagt der Professor für Soziologie an der Universität Augsburg. Er beschäftigt sich dort seit 2003 mit Familien-, Wissens- Kultur- und Gesundheitssoziologie. Schneider wundert sich nicht, dass Sterben vorsorglich bedacht wird durch Patientenverfügungen oder Vollmachten für Betreuer. Sterben werde zu einem organisierten Projekt, bei dem im Voraus riskante Entscheidungen zu treffen seien wie beispielsweise der Verzicht auf die Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten.In diesem Zusammenhang komme den ehrenamtlichen Hospizhelfern eine wichtige Aufgabe zu: Die Orientierung an den Bedürfnissen der Patienten und deren Angehöriger.
„Soll Hospizarbeit Zukunft haben, muss sie sich um die Verschiedenartigkeit in der heutigen Gesellschaft, um existenzielle Krisensituationen und um Randgruppen kümmern“, sagt Schneider.
Er würde es, wie er sagt, gerne sehen, wenn Hospizarbeit zu einer Bürgerbewegung werden würde. Tod und Sterben müssten als Teil des Lebens ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken.
Der Wissenschaftler holt weit aus: Im 17. Jahrhundert, so sein Rückblick, habe es den Totentanz gegeben. „Damals standen Tote wie Lebende in einer göttlichen Ordnung von Diesseits und Jenseits.“ Jeder Mensch habe seine Lebenszeit als einen Wimpernschlag betrachtet und einem „guten Sterben“ entgegengestrebt.
„Wir können nicht mehr für Sie tun.“ Diesen Satz, vor dem sich so viele fürchten, gibt es für Schneider nicht. Sterbenskranken Menschen die verbleibenden Tage, Wochen und Monate mit bestmöglicher Lebensqualität zu füllen und den Angehörigen eine anhaltende Erinnerung an das gute Endes eines geliebten Menschen zu bereiten, sieht er als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Der beste Ort zum Sterben sei Zuhause, unterstützt durch einen ehrenamtlichen Hospizdienst.